Dienstag, 11. Dezember 2007

chilenische wochen in drei akten

da sich die letzten wochen meines lebens hauptsächlich ums lernen drehten und ich somit wenig zeit gefunden habe, hier was reinzuschreiben, will ich versuchen, ein bischen was erlebtes und beobachtetes der letzten zeit zusammenzukratzen. dieses erfolgt in drei akten:


1. akt: das seltsame prüfungsgebaren der chilenischen studenten- und professorenschar
in der letzten zeit hatte ich ausreichend gelegenheit, das verhalten chilenischer studenten in stresssituationen, sprich in prüfungen kennen zu lernen. dies war insofern interessant, da es mich teilweise so belustigt hat, dass es mich minuten meiner wertvollen prüfungszeit gekostet hat.

da waren z.b. die sogenannten spicker. diese verstecken keine gedruckten spickzettel mit 5-arial-schrift unter ihren hintern, diese legen sich ihr komplettes skript unter ihre prüfung, um dieses dann abzuschreiben. bei fast 60 leuten im raum merkt das natürlich keiner der "aufseher". andere spicker kopieren und verkleinern sich ihr skipt, kleben die zettel auf ein blatt papier und legen sich dieses dann unter ihren prüfungsbogen. nachdem sich einer dieser zettelchen durch eine unachtsamkeit gelöst hat und zu boden gefallen ist, wird dieser nicht eiligst irgendwo versteckt, nein er wird mit einem prittklebestift wieder aufgeklebt.

interessant sind auch die abschreiber (diese geschichte habe ich irgendwo mal gehört, ist aber allemal erwähnenswert): ein französischer austauschstudent, der wie alle austauschstudenten nicht gelernt hat und nahe am verzweifeln ist, wartet, bis der der prof kurz den saal verlassen hat, steht auf, geht vor, nimmt sich die bereits abgegebene arbeit eines chilenischen compañeros und geht seelenruhig an seinen platz zurück. was dann folgt, kann sich ja jeder selber denken...

noch interessanter ist das prüfungsverhalten der profs. während eines examens hat der professor, eine koryphäe auf seinem gebiet, angefangen briefumschläge an die studenten zu verteilen, nachdem er gewissenhaft die aufgaben durchgegangen ist und alle bereits begonnen haben zu schreiben. natürlich persönlich, mit namen aufrufen und so. ich hab mir gedacht, wie wichtig müsse dies sein, dass das jetzt geschehen müsse, die zulassung zur hauptprüfung vielleicht oder gar die noten oder ähnliches. nachdem er nach etwa 15 minuten fertig war, erkannte ich, dass es lediglich eine handgeschriebene einladung zur vorstellung seines neuesten buches war.

ein anderer professor, von mir auch als sehr seriös und gewissenhaft eingeschätzt, kam am tage der examensprüfung ewig nicht. 20 minuten, halbe stunde, dann kam er und verkündete mit händen in den taschen, er sei so müde und hätte keine lust, heute die prüfung zu schreiben ("estoy tan cansado y no tengo ganas de escribir la prueba"). wir würden die noten bekommen, die schon vorher feststanden (man schreibt ja übers ganze semester irgendwelche prüfungen und tests, woraus sich dann auch eine vornote ergibt).


2. akt: 100 años del masacre en la escuala santa maria de iquique
weiter gings auf ein konzert gestern abend auf dem plaza italia. als anlass wurden das zufällig auf diesen tag fallende 100jährige jubiläum eines massakers in einer schule im nordchilenischen iquique (kurzform: arbeiter eines salpeterbergwerks streiken wegen unzumutbaren arbeitsbedingungen, regierung findets scheisse und schickt armee, diese stürmt schule, in der sich die demonstanten eingeschlossen haben und erschiesst bis zu 3.000 männer, frauen und kinder, darunter viele bolivianische und peruanische gastarbeiter) sowie einen momentan stattfindenden kongress für menschenrechte hergenommen. ausserdem spielte sicherlich auch das einjährige jubiläum des todes des feindbildes nummer 1 aller chilenischen linken, exdiktator, -senator und -allendemörder, augusto pinochet, eine rolle.

da das alles irgendwie themen sind, welche die politische linke hier mobilisiert, war das konzert auch demensprechend ausgerichtet. headliner waren inti illimani, eine (zugegebenermaßen nicht schlechte) chilenische folkloregruppe, die immer schon für allende und gegen konservative strömungen waren und während des putsches 1973 auf einer italientour waren. da sie nicht zurückkehren durften, blieben sie gleich dort und wetterten musikalisch mit panflöte und bongo gegen pinochet und seine schergen.

doch auch die anderen interpreten waren nicht ohne. musikalisch teilweise fragwürdig hatten sie doch zumindest immer eine flotte botschaft auf den lippen. dabei wurden querbeet sämtliche problemfälle lateinamerikas thematisiert, so dass in einer strophe schon mal von der kolumbianischen farc, dem bolivianischen zugang zum meer ("salida al mar") sowie vom venezolanisch-bolivarianischen sozialismus des 21. jahrhunderts gesungen wurde. kam die rede auf pinochet, begann die menge zu buhen und mit schimpfwörtern um sich zu werfen. auch die mapuche sowie deren hungerstreik (momentan sitzen ich glaub drei mapuche seit über 60 tagen im knast im hungerstreik, um auf den kampf der ureinwohner um anerkannung aufmerksam zu machen) wurden immer mal wieder angesprochen.

es war auf jeden fall sehr interessant, die musik war gut und die leute waren auch fleissig dabei. störend war nur, dass undifferenziert gegen alles nichtlinke gedankengut gewettert wurde und ich mir trotz gewisser sympathien wie auf einem sowjetischen parteitag vorkam, auf dem ständig und immer das gleiche gepredigt wurde. jetzt fotos:


¿100 os de soledad? no, 100 años de la masacre en iquique



lauschende kinder - niños escuchandos


auf diesem plakat wird pinochet als nazi mit geldsäckl (hat während seiner "amts"-zeit enorm viele reichtümer auf privatkonten im ausland transferiert) und blutiger klinge dargestellt - der teufel bedeutet, dass die mehrheit der chilenen seine bestrafung in der hölle wünscht, da er lebend für seine greueltaten nie zur rechenschaft gezogen wurde



der musik lauschende judith


3. akt: el cóndor pasa
nach all diesen tollen erlebnissen gings dann ab in die natur (insider wissen, dass die reihenfolge etwas verdreht ist, aber egal...), nämlich für eine zweitagestour mit andré aus dresden und francisco aus quito in die anden. ausgesucht haben wir uns einen santiaguiner hausberg, den cerro provincia, den ich auch von meinem balkon aus sehe.

staubtrockene geröllfelder, stachelnde kakteen und hungrige kondore hinderten uns nicht, nach sechs stunden wanderung am ersten tag irgendwo oberhalb santiagos unser nachtlager aufzubauen. mit bier, ungesalzenen spaghetti und maumau wurde zuerst der untergang der sonne (verzeiht mir dieses kitschkitschkitschige foto da rechts) und danach der aufgang santiagos sowie seiner elektrizitätswerke beobachtet. war recht schön. die nacht verbrachte ich dann draußen am lagerfeuer in der hoffnung, pumas anzulocken. kamen aber keine...




santiago bei nacht - santiago en la noche


am nächsten tag gings dann weiter bis auf 2.750m höhe, auf der uns ein grandioses panorama erwartete: eine seite der 6-millionen-moloch santiago mit einer graubraunen smogwolke, andere seite die faszinierende cordillera mit schneebedeckten sechstausendern. über uns kondore.


santiago bei tage - santiago en el día


die drei stadtmusikanten auf 2.750m - rechts hinter uns der cerro plomo mit 5.424m


das schlimmste allerdings war der rückweg. knapp 2.200m höhenunterschied mussten zu fuss nach santiago zurückgelegt werden, während trinkwasser und essen zur neige ging. der gemeine alpenwanderer ist ja regelmässige bächlein und sonstige wasservorkommen gewöhnt, die es in den anden aufgrund der trockenheit leider nicht so gibt. naja wir habens dann doch überlebt und uns auf der erstbesten pferdefarm auf das dortige wasserreservoir gestürzt.



war auf jeden fall `ne supertour und auch eine sehr gute probe für die acht tage trekking in patagonien, die nächste woche beginnen. dann gibts hier live und in farbe noch mehr natur. bis denne und sonnige grüße...